„Trauma zieht sich durch unsere Familie wie ein rezessives Gen. Es manifestiert sich in Schlaflosigkeit und wiederkehrenden Albträumen, in unerklärlicher Traurigkeit und quälender Scham. Es ist die Scham der Überlebenden.“ (Joana Osman / Wo die Geister tanzen / C. Bertelsmann)
Eine junge deutsch-palästinensische Autorin macht sich auf die Suche nach den Geistern der Vergangenheit ihrer Familie. Sie landet in Jaffa, Beirut, Mersin, und noch einmal in Beirut. Denn das sind die Stationen, die Joanas Großeltern nachhaltig geprägt haben. Es sind die Städte, die in ihrer Familie von Heimat, Krieg, Hoffnung und Armut erzählen. In diesem bemerkenswerten Buch bilden Jaffa, Beirut, Mersin, und noch einmal Beirut die vier Kapitel der Familiengeschichte, denn so verlief die Route der Flucht. Was Joana Osman nicht ahnen konnte, als das Buch im Spätsommer veröffentlicht wurde: Dass der neue Terror im Nahen Osten die Geschichte ihrer Eltern hochaktuell machen würde. Seit dem brutalen Angriff der Hamas am 6. Oktober ist Joana eine gefragte Gesprächspartnerin in vielen Medien, die besonnen und kompetent über den Krieg zwischen Israel und Palästina spricht.
Zurück zum Buch: Das Drama beginnt 1948, mit dem ersten arabisch-israelischen Krieg. Sabiha und Ahmed müssen aus ihrer Heimatstadt Jaffa fliehen, wie 700.000 weitere Palästinenser. Sie fliehen in den Libanon und weiter in die Türkei, stets auf der Suche nach Arbeit, nach Leben, nach einem neuen Zuhause. Es wird eine furchtbare Odyssee, doch Joana Osman erzählt von ihren Großeltern so lebendig und bunt, so trocken und humorvoll, dass die erschütternden Erlebnisse dazu einladen, sich neue Gedanken über Flüchtende, Feindbilder und Frieden zu machen.
Die Tragödie ihrer Großeltern hat Joana Osman motiviert, sich aktiv für Frieden zwischen Arabern und Israelis einzusetzen – sie ist Mitbegründerin der israelischen Initiative „The Peace Factory“ und erzählt auch in einem bemerkenswerten TED-Talk darüber, wie aus angeblichen Feinden Freunde werden können. „Wo die Geister tanzen“ ist ein sehr persönliches, sehr lesenswertes Buch über kulturelle Identität und ein Angebot für Versöhnung zwischen verfeindeten Völkern und Religionen. Joana war vor kurzem auch in meiner Radiosendung bei egoFM (siehe Foto) – den Stream hört ihr hier.