Cowboyprosa

„Dummheit war kein Schwerverbrechen. War überhaupt kein Verbrechen. Nur ein Handicap.“

Trockene Kommentare in einer klaren, kantigen Sprache – das kann nur Jack Reacher sein, der Serienheld von Lee Child. In seinem neuen Fall „Bluthund“ (Blanvalet) begibt sich der ehemalige Militärpolizist auf einen Road Trip durch Wisconsin, South Dakota und Wyoming. Als Anhalter auf staubigen Landstraßen, als Ermittler in versteckt im Wald gelegenen Farmhäusern und im Gespräch mit verschrobenen Amerikanern mit Geheimnissen. Mit Erfolg: Reacher kommt einer Bande von illegalen Opiate-Händlern auf die Spur und spürt eine schwer verletzte Veteranin auf, die medikamentenabhängig ist. Davor allerdings wird ein Kopfgeld auf ihn angesetzt, und ein FBI-Agent kommt ihm in die Quere.

Dieser Jack Reacher, der von sich behauptet, er sei „nur ein gewöhnlicher Kerl auf der Durchreise“, ist ein großer, starker Typ mit einer linken Faust „so groß wie ein Hühnchen aus dem Supermarkt“. Nichts bringt ihn aus der Ruhe, er hat alles im Griff, und er hat vor allem: Prinzipien. Charakter. Moral. Die legendäre Figur verkörpert ganz altmodisch das Gute im Mann, und es bereitet jedes Mal wieder großes Lesevergnügen, wenn dieser Cowboy ohne Handy und ohne Gepäck seine Ermittlungen vorantreibt. Stur und ruhelos, obwohl er wie die Ruhe in Person wirkt, der Fels in der Brandung.

Auch der 22. Reacher-Roman überzeugt also mit erdiger, abgebrühter Prosa im Westernstyle (großartig übersetzt von Wulf Bergner), mit präzisen Beschreibungen von Mensch und Natur, mit knisternden, pointierten Dialogen, bei denen jedes Wort stimmt.

Nur fürs Protokoll noch einmal der Hinweis: Jener Jack Reacher, den Tom Cruise in den Hollywood-Verfilmungen spielt, hat nichts mit dem Jack Reacher aus den Büchern zu tun. Gar nichts. Er ist nur peinlich.

Am 8. August stelle ich den Thriller in meiner Buchsendung auf egoFM vor. Zur Show hier.

Terrorzelle in Hamburg

Wie bitte? Schon wieder ein neuer Jack-Reacher-Roman? Lee Childs Produktivität ist geradezu beängstigend – nach dem 20. Fall der Reihe, der im Frühsommer 2019 in Deutschland veröffentlicht wurde, folgt nun der 21., „Der Ermittler“ (Blanvalet).

Also alles nur Routine nach Schema F? Nicht bei Lee Child. Er springt diesmal zurück in Jahr 1996. Jack Reacher ist erst 35 Jahre alt, und er wird von der US-Army, dem FBI und der CIA nach Hamburg geschickt. Und um es gleich vorwegzunehmen: Das ist einer der besten Spionage- und Agententhriller des vergangenen Jahres.

Der Plot: Eine islamistische Terrorzelle in Hamburg plant einen Anschlag. Die Amerikaner haben mitbekommen, dass die Terroristen bereit sind, 100 Millionen Dollar zu bezahlen. Doch niemand weiß, wofür. Waffen? Informationen? Menschen? Reacher und sein Team arbeiten eng mit der deutschen Polizei zusammen, sie beschatten, recherchieren und legen falsche Fährten. Doch die Terroristen und eine Gruppe radikaler Deutschnationalisten lassen sich nicht so leicht austricksen. Jeder ermittelt gegen jeden, die Lage wird immer verzwickter, und Jack Reacher muss sich zum ersten Mal als Teamplayer beweisen.

Fazit: Ein packendes Versteckspiel auf hohem Niveau, brillant komponiert, jedes Wort sitzt, jede Szene fügt sich perfekt ein, mit einem grandiosen Finale in einer riesigen Halle voller importierter Schuhe.

Er schreibt und schreibt…

„Ich finde, jemand sollte ihm einen Orden verleihen, ihm eine Kugel in den Kopf jagen und eine Brücke nach ihm benennen.“ (Jack Reacher über einen Vorgesetzten)

Er schreibt und schreibt und schreibt und schreibt. Lee Child wird nicht müde, seine Thriller-Serie um Jack Reacher fortzusetzen. Zum Glück. Denn auch der 19. Fall für den fiktiven Einzelgänger, „Im Visier“ (Blanvalet), hält das hohe Niveau.

Wie bei allen Serien bleibt zwar die Konstruktion der Plots sehr ähnlich. Reacher, eigentlich unauffindbar und unabhängig, wird jedes Mal von Militär/Geheimdienst/Politik zu einem brisanten Fall hinzugezogen, legt sich mit seinen Vorgesetzten an, flirtet bei den Ermittlungen mit einer attraktiven Frau und schaltet lässig seine Widersacher aus. Diesmal soll er einen Scharfschützen aufspüren, der in London auf die Politiker angesetzt ist, die am G8-Gipfel teilnehmen. Ein Auslandseinsatz also, immerhin. Normalerweise bleibt Reacher in den USA.

Warum Lee Child trotz dieser vorhersehbaren Struktur sehr gut lesbar und höchst unterhaltsam bleibt? Weil seine Sprache unverschämt locker und lakonisch daherkommt. Weil sein Held unvergleichlich trocken aus seiner Perspektive erzählt. Weil sich die Figur des Jack Reacher auch nach 19 Bänden nicht abgenutzt hat. Und vor allem: weil jedes Buch beweist, wie wenig Tom Cruise mit dem Mann gemeinsam hat, den er in den Verfilmungen (zum Leidwesen vieler Reacher-Leser) spielt.

 

Reachers Nahkampf-Choreografie

lee child, der letzte befehl, rezension, literaturblog, günter keil „Ich sagte nichts. Ich bin gut darin, nichts zu sagen. Ich rede nicht gern.“

Ein typischer Jack-Reacher-Satz. Trocken, lakonisch, auf den Punkt. Genauso wie der Ton aller Jack-Reacher-Romane von Lee Child. „Der letzte Befehl“ (Blanvalet), der neueste Band aus dieser Reihe, geht zurück ins Jahr 1997. Militärpolizist Reacher ist damals 36 Jahre alt, und er wird von seinen Vorgesetzten in die Pampa nach Mississippi geschickt. In Charter Crossing, einem heruntergekommenen Dorf, soll er inkognito eine Mordserie in der Nähe eines Army-Stützpunktes aufklären. Klar, dass Reacher einige lokale Kriminelle in die Quere kommen – doch mit gezielten Faustschlägen, Kopfstößen und einer alten Schrotflinte weiß sich der abgebrühte Soldat zu helfen. Lee Child skizziert erneut perfekt die Nahkampf-Choreografie seines wortkargen Helden. Und er stellt ihm eine attraktive Frau zur Seite: Der Sheriff des Dorfes ist eine Ex-Marine, die ebenso lässig ermittelt wie Reacher. „Der letzte Befehl“ lebt von den knackigen Dialogen und der erotischen Spannung zwischen den beiden Ermittlern. Und vom gewohnt souveränen Einsatz des intelligenten Soldaten. Nicht der beste Reacher, aber trotzdem lesenswert. Und besser als jede der unsäglichen Verfilmungen mit Fehlbesetzung Tom Cruise.

Reacher, unerreichbar…

lee child, die gejagten, blanvalet, günter keil, rezension, literaturblogIch mag keine Romane, die im Militär-Milieu spielen. Soldaten als Hauptfiguren kann ich nicht ausstehen. Und Helden in Uniform begegne ich mit einer riesigen Portion Skepsis.

Aber dann kommt der neue, 18. Jack-Reacher-Roman – und ich bin begeistert: Von einer unübertrefflich lässigen Hauptfigur. Von knackigen Dialogen. Von einem mitreißenden Plot. Von Lee Child, der so trocken, souverän und fesselnd schreibt, dass es fast egal ist, ob die Handlung im Militär-Milieu angesiedelt ist oder nicht. In „Die Gejagten“ (Blanvalet) flüchtet Jack Reacher, ehemaliger Chef einer Militärpolizeieinheit, vor seinen Kollegen, dem FBI und einem Schlägertrupp. Ihm wird vorgeworfen, vor 16 Jahren einen Mann fast zu Tode geprügelt und vor 14 Jahren eine Frau geschwängert zu haben. Doch Reacher ist unschuldig. So wie seine Nachfolgerin Susan Turner, die man der Korruption verdächtigt. Reacher und Turner rasen mit geklauten Autos und falschen Identitäten durch Virginia und Pennsylvania, schütteln ihre Verfolger ab, versuchen, Beweise für ihre Unschuld zu beschaffen. Sie brauchen lange, um einem Kreis elitärer Männer auf die Spur zu kommen, die schmutzige Geschäfte in Afghanistan machen.

Lee Child schildert diesen Road-Trip mit kunstvoller Lakonie. Zwischen Reacher und Turner knistert es, und zwischen den Gejagten und ihren Verfolgern knallt es. Für mich ist Child einer der besten zeitgenössischen Spannungsautoren. Sein Held, der wortkarge, verwilderte, gerechtigkeitssuchende Einzelgänger Reacher, ist sein unangreifbares Markenzeichen. Dass ausgerechnet der gut frisierte, völlig uncoole Tom Cruise Reachers Rolle im Kino spielt, ist unfassbar – eine fatale Fehlbesetzung.

Es ist wie in einem Rock´n´Roll-Song im Radio. Ein schneller Wagen, ein bisschen Geld in der Tasche und zur Abwechslung mal nette Begleitung.“