Buchpremiere im Literaturhaus München

Eine große Ehre: Vergangene Woche moderierte ich die Buchpremiere von Friedrich Anis neuem Roman „Letzte Ehre“ (Suhrkamp) im Literaturhaus München. Ani erzählte mir von seiner Hauptfigur Fariza Nasri, einer Oberkommissarin mit bayerisch-arabischen Wurzeln. Für mich eine der faszinierendsten neuen Charaktere auf dem Buchmarkt. Nasri ist eine geniale Beobachterin und Zuhörerin, und ihre Gabe, auch tief in ihre eigenen Abgründe zu schauen, machen sie zu einer großartigen Ermittlerin.

Friedrich Ani entwirft ein vielschichtiges, dunkles Drama, das eine fast unerträgliche Spannung entfacht. Ein brillanter Roman über toxische Männlichkeit und Gewalt an Frauen, getragen von einer bemerkenswerten Hauptfigur, drei brisante Fällen von Gewalt an Frauen – und natürlich Anis kunstvollem Stil.

Im Gespräch antwortete der Münchner Schriftsteller auf meine Frage, warum er seinen Leser*innen so viel zumutet: „Literatur ohne Zumutung ist keine Literatur. Ich mache mir darüber keine Gedanken, ob die Leserschaft leidet. Denn darum geht’s nicht; es geht darum, dass ich das ausdrücke und erzähle, was mir auf dem Herzen brennt. Zumutung ist doch die Grundvoraussetzung fürs Lesen. Jemand der keine Zumutungen möchte, braucht doch auch gar nicht zu lesen.“

P.S.: Am Samstag ist Friedrich Ani zu Gast in meiner Literatursendung „Buchhaltung“ auf egoFM.

3 plus 1 (Neues von Friedrich Ani)

Noch nie hat Friedrich Ani seine Leser so umfassend überrascht wie diesmal. Erstmals lässt er seine drei bekanntesten Figuren gemeinsam ermitteln: Tabor Süden, Jakob Franck und Polonius Fischer. Dazu gesellt sich in „All die unbewohnten Zimmer“ (Suhrkamp, Foto unten) Fariza Nasri, eine bayerische Kriminalkommissarin mit syrischen Wurzeln. Sie bringt als Ich-Erzählerin einen frischen Ton mit. 3 plus 1 also, plus hohes Tempo.

Vieles ist also neu in Friedrich Anis neuem Roman, und doch bleibt vieles beim Alten. Der Meister der nachdenklichen Töne lotet auch in seinem neuen Werk die Grauzonen Münchens aus. Hochgradig aktuell ist das Buch dennoch. Eine rechts-nationalistische Partei, der AfD ähnlich, demonstriert in der Innenstadt. Mitglieder einer Bürgerwehr verkünden, dass sie die Polizei nicht mehr bräuchten, um „sauber zu machen in allen Ecken, gründlich, damit die Leute wieder Freude an ihrem Land haben.“ Friedrich Anis neuer Roman erscheint nicht nur komplexer als viele seiner vorherigen Werke, sondern deutlicher in der Gegenwart verankert. In einem der zahlreichen intensiven Kapitel schildert Ani die Flucht von zwei Buben aus Aleppo, die mit ihrem Vater nach München flüchten. Später werden die Syrer verdächtigt, am Tod eines Streifenpolizisten in Schwabing beteiligt gewesen zu sein.

Neben diesem Fall müssen die vier Ermittler den Mord an einer Frau in Haidhausen aufklären. Friedrich Ani führt die verschiedenen Handlungsstränge und seine vier Hauptfiguren gekonnt zusammen. „All die unbewohnten Zimmer“ entwickelt eine eigenständige Qualität. Nicht zuletzt wegen Fariza Nasri, der Ani 2021 einen eigenen Roman widmen wird, wie er mir auf seiner Lesung im Literaturhaus München sagte (Foto). Diese Moderation war für mich eine große Ehre – ich schätze Ani und sein Werk sehr, und der 60-jährige beeindruckt sein Publikum jedes Mal aufs Neue.

 

Der empathische Ermittler

„Im Grund dachte er an nichts. Er schaute und schwitzte und vergaß die Zeit und ein wenig auch sich selbst.“

Tabor Süden ist wieder da. Nun ja, so richtig da ist er zunächst nicht. Friedrich Anis berühmter Ermittler wirkt in „Der Narr und seine Maschine“ (Suhrkamp) zu Beginn etwas abwesend. Aber das passt zu diesem schweigsamen, seltsamen, eigenwilligen Typ.

Schließlich nimmt Süden einen neuen Auftrag an. Er soll einen älteren Schriftsteller suchen. Dieser Mann hat früher erfolgreiche Krimis geschrieben und 30 Jahre lang mit seiner Mutter in einem kleinen Hotel gelebt. Nun ist er plötzlich verschwunden. Tabor Süden befragt Freunde und Kollegen des aus der Welt Gefallenen und übernachtet im Zimmer des Schriftstellers, um ein Gespür für ihn zu bekommen. Mit viel Ruhe und Empathie spürt er den Mann letztlich auf. Aber kann er ihn auch retten? Will er überhaupt gerettet werden? Wie so oft in den Romanen von Friedrich Ani hat man den Eindruck, dass seine Figuren außerhalb der modernen Gesellschaft besser aufgehoben sind als in deren Mitte. Von der aus sie – nicht selten freiwillig – verschwinden.

Mich hat dieser kurze, melancholische Krimi zu Tränen gerührt, und manche von Friedrich Anis Sätzen musste ich immer wieder und wieder lesen, so poetisch und feinsinnig sind sie. Eine kurze Meditation über eine Vermissung, von Ani als Hommage an den Noir-Schriftsteller Cornell Woolrich konzipiert, der im Herbst vor 50 Jahren starb.

„…und die Nacht dauerte an und nannte sich Tag.“

Der Bob Dylan der Spannungsliteratur

friedrich ani, ermordung des glücks, rezension, günter keil, blogEine verzweifelte Mutter stolpert betrunken durchs nächtliche München. Müde Menschen stehen an den Fenstern ihrer Wohnungen und schauen ratlos auf die Straßen. Ein erschöpfter Kommissar liegt auf einer Wolldecke, Arme und Beine von sich gestreckt, und hört auf die Stimme in seinem Inneren. Zwei traurige Geschwister, Mann und Frau, liegen in einem Bett und halten sich tröstend an den Händen.

In „Ermordung des Glücks“ (Suhrkamp) von Friedrich Ani leiden die Protagonisten, immerfort. Die Stadt, in der sie leben, ist kalt und dunkel. Ein 11-jähriger Junge wurde ermordet, und niemand weiß, von wem, warum, wo. Den pensionierten Kommissar Jakob Franck lässt dieser Fall (sein zweiter nach „Der namenlose Tag“) nicht los. Er vergräbt sich tief in den Akten, befragt mögliche Zeugen, arbeitet unerbittlich an der Aufklärung, hört zu. Vor allem dies. Franck ist der Zuhörer. Und Ani der Bob Dylan der Spannungsliteratur.

In der literarischen Ruhe des Münchner Autors liegt eine Radikalität, die einzigartig ist. Es scheint, als hielte er in seinem Roman das Tempo an, das den Alltag bestimmt, um sich den wahren Dramen zu widmen: Verzweiflung, Trauer, Wut, Einsamkeit und Reue. Ein schmerzhafter, melancholischer, meisterhafter Roman.

Lennard, das Kind, dachte er, hatte ein Anrecht auf die gleiche Gnadenlosigkeit bei der Suche nach dem Mörder, wie sie dieser bei seiner Tat hatte walten lassen.“

Brennende Brutalität

friedrich ani, nackter mann, der brennt, suhrkamp, literaturblog günter keil, rezensionPuh. Ich hab´s geschafft. Habe „Nackter Mann, der brennt“ (Suhrkamp), Friedrich Anis neuen Roman, gelesen. Ein Vergnügen war´s nicht. Es ist Anis dunkelster und radikalster Roman. Die Chronik eines Rachefeldzuges. Der Ich-Erzähler kehrt nach vierzig Jahren in sein tief katholisches Heimatdorf zurück. Aus einem einzigen Grund: Er will sich an den Männern rächen, die ihn und seine Schulkameraden früher missbraucht haben – ein Arzt, ein Apotheker, ein Lehrer, weitere angesehene Persönlichkeiten. Sie alle müssen nun büßen. Der Rächer entführt, foltert und tötet sie, skrupellos. Friedrich Ani lässt ihn ungefiltert von seinen Taten prahlen, voller Hass und in sarkastischem Ton. Das ist kaum zu ertragen, und wenn dieses Buch nicht von einem der besten Krimiautoren Deutschlands stammen würde, hätte ich es nach 50 Seiten abgebrochen. Um schrecklichen Missbrauch in verlogenen Dorfgemeinschaften anzuprangern, kann man selbstverständlich in die Rolle des Täters schlüpfen. Eine krasse Perspektive, die möglicherweise gerade deswegen aufrüttelt. Mir ist diese Erzählform allerdings zu eindimensional, zu zynisch, zu grausam. Friedrich Anis Stärken, sein geniales Gespür für Zwischentöne und Stimmungen, seine feinsinnige Beobachtungsgabe und herausragende Menschenkenntnis, seine philosophisch-literarischen Formulierungen werden diesmal von brennender Brutalität nahezu erschlagen.

Da stand ich, am Rand der Nacht, zum Morden geboren, zum Sterben bereit und starb nicht und mordete noch lang nicht genug.“

Tieftraurig & wunderschön

ani-2Menschen, die sich aus Trauer und Einsamkeit betrinken. Die sich von ihrem Leben ausruhen oder dem, was davon übrig ist. Die aus Verzweiflung lügen.

Ein Ermittler, der die Augen schließt, damit die Welt verschwindet. Der versucht, an der Grenze zur Unhöflichkeit abwesend zu wirken. Der so lange schweigt, bis andere aus ihrem Selbstschutzpanzer herausklettern.

„Der einsame Engel“ (Droemer), Friedrich Anis neuer Tabor-Süden-Roman. Einer seiner besten. Süden und seine Detektei-Kolleginnen sollen einen Geschäftsmann finden, der seit zwölf Tagen verschwunden ist. Mühsam ringt sich Süden zu Befragungen durch – eigentlich möchte er nur um seine verstorbenen Freunde trauern und sich besaufen.

Wir tranken aus Gewohnheit. Und wenn die Kellner hinter uns die Stühle auf die Tische stellten, bekamen wir es mit der Angst. Draußen wartete die Nacht, und in meiner Wohnung hockte ein Fremder, der meinen Namen angenommen hatte, weil er glaubte, auf diese Weise unbeschadet über die Grenze ins Morgen zu gelangen.“

Friedrich Anis Prosa berührt, bis die Tränen kommen. Viele seiner Sätze sind tieftraurig und wunderschön. Sätze, die noch einmal gelesen, gefühlt werden wollen. Sätze, hinter denen die Sorgfalt und das Feingefühl eines großartigen Schriftstellers stecken.

Ani erweist den Vergessenen, Gestrandeten und Vernachlässigten, den in München schon fast Unsichtbaren erneut seinen Respekt. Er zeigt einfache, verzweifelte Menschen, ohne sie vorzuführen, ohne Sozialkitsch. Zum Wohlstandsbauch Münchens schreibt Ani: „An diesem Bauch perlten die Krisen strukturschwacher Stadtteile und die wachsende Not gewöhnlicher Wohnungssuchender ab wie Schweißtropfen auf den sonnengebräunten Wampen von Rimini-Urlaubern.“

Die längste Umarmung der Kriminalliteratur

aniEine Umarmung, die sieben Stunden lang anhält. Kriminalhauptkommissar Jakob Franck kann sie einfach nicht vergessen, obwohl sie schon 21 Jahre zurückliegt. Damals überbrachte Franck der Mutter eines 16-jährigen Mädchens die Nachricht, dass ihre Tochter erhängt aufgefunden wurde. Der Polizist und die Frau hielten sich fest, und sie ließen sich erst um halb vier Uhr morgens los. Ohne dass sie mehr taten als sich zu umarmen.

Diese Geste ist der bewegendste Moment in Friedrich Anis neuem Roman „Der namenlose Tag“ (Suhrkamp). Ani, mit neuem Verlag und neuer Hauptfigur, erzählt in leisen, langsamen Sätzen, in einer einzigartigen entschleunigten Sprache, von einem tragischen Fall. Und von Jakob Franck, der seit zwei Monaten im Ruhestand ist. Nun suchen ihn die Geister seiner Arbeit auf, die Toten, mit denen er in seiner Wohnung sitzt, ihnen zuhört, mit ihnen spricht. Vor allem der angebliche Selbstmord des Mädchens lässt ihn nicht los. Gewissenhaft nimmt Franck erneut die Ermittlungen auf. Seine Befragungen verlaufen jedoch schleppend, und in Anis Roman passiert nicht viel. Außer der stillen „Gedankenfühligkeit“, mit der Franck neue Erkenntnisse gewinnt. Wer sich auf den ruhigen Stil und die melancholische Stimmung einlässt, gerät in einen wohltuenden, nahezu meditativen Lesefluss. Und erlebt die längste Umarmung der Kriminalliteratur.

Die bürgerliche Fassade der Neonazis

aniIn Friedrich Anis Büchern passieren ganz bewusst Dinge, die in anderen Krimis höchstens unabsichtlich vorkommen: die Handlung holpert, Dialoge stocken. Ani hat etwas gegen künstlich choreographierte Spannungsbögen. Ebenso wenig widmet er sich klischeehaften Tätern, Opfern und Ermittlern, sondern den Menschen hinter diesen Rollen. Anis Hauptfigur, der Privatdetektiv Tabor Süden, ermittelt in „M“ (Droemer) im rechtsradikalen Milieu Münchens – doch das weiß er zunächst gar nicht. Denn Mia Bischof, die Frau, die ihren verschwundenen Freund finden lassen möchte, ist eine seriöse Journalistin, die ehrenamtlich Ausflüge für Mütter und Kinder organisiert. Alles Fassade, wie sich herausstellt. Süden und seine Kollegen aus der Detektei kommen über Bischof einem Ring bürgerlicher Neonazis auf die Spur. Doch die bayerischen Ermittlungsbehörden wollen weitere Recherchen unterbinden. Hintergrund: eingeschleuste V-Männer könnten gefährdet werden. Friedrich Ani zeigt seine Hauptfigur erneut als wortkargen, eigenwilligen Ermittler, der allein durch Gespräche die Wahrheit enthüllt. Ein melancholischer, überdurchschnittlicher Kriminalroman, bei dem man das Gefühl hat, echten Menschen in echten Situationen zu begegnen. Darüber hinaus ist „M“ eine wichtige Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus – der richtige Roman in Zeiten des NSU-Prozesses.