Wundersame Wendungen

Schon klar: „Das rote Notizbuch“ (Rowohlt) von Paul Auster, die legendäre Sammlung wundersamer Kurzgeschichten, ist schon mehrmals erschienen. Aber noch nie auf Deutsch in dieser vollständigen Ausgabe. Und noch nie in so geschmackvoller bibliophiler Ausstattung.

Auster erzählt „wahre Geschichten“, die er selbst erlebt hat. Oder von Freunden, Kollegen, Verwandten erzählt bekommen hat. Es sind skurrile, märchenhafte, unglaubliche stories – von einem Sohn, der seinen Vater nach 40 Jahren wieder trifft. Von der Magie eines Zwiebelkuchens in Südfrankreich. Von einem Mann, der sich nach 20 Jahren erneut in seine große Liebe verliebt. Von einer verlorengegangenen Münze, die an einem anderen Ort in Brooklyn wieder auftaucht. Und vom Fluch der vier Reifenpannen.

In einfachen, klaren Sätzen, und aufs Wesentliche reduziert, hält Paul Auster die rätselhaften Wendungen des Lebens, die verschlungenen Wege des Schicksals, das Mysterium unseres Daseins fest. Wunderbare Erlebnisse und Begegnungen, die versöhnlich stimmen. Ein schmales, feines Buch, das das Herz erwärmt. 

Hier steht die reziprok proportionale Rezension des neuen Paul-Auster-Romans

paul auster, 4321, rezension, literaturblog, günter keil Okay. Tief Luft holen. 1.264 Seiten.

„4321“ (Rowohlt) ist der längste Roman, den Paul Auster je geschrieben hat. Das reizt mich, eine meiner kürzesten Rezensionen zu verfassen. Reziprok proportional, genau.

„4321“ ist kein normaler Roman. Es sind: vier. Denn Auster erzählt vier Mal die Lebensgeschichte von Archie Ferguson, einem Amerikaner, der 1947 zur Welt kommt – wie Auster selbst. Der Reiz an diesem raffinierten literarischen Spiel besteht darain, dass diese vier Varianten eine gemeinsame Schnittmenge haben. Und dennoch komplett anders verlaufen. Ein Meisterwerk, ja. Über Liebe & Literatur, Schmerz & Trauer, Baseball & JFK. Eine Chronik der USA der 50er- bis 70er Jahre. Keine Seite zu viel.

„4321“ habe ich hier für die ABENDZEITUNG rezensiert – auch im nächsten Playboy stelle ich es vor.

Paul Auster in Hochform

AusterNein, dieses Buch ist keine normale Autobiografie. Das beweist schon der erste Satz: „Du denkst, das wird dir niemals passieren, das kann dir niemals passieren, du seist der einzige Mensch auf der Welt, dem nichts von alldem jemals passieren wird, und dann geht es los, und eins nach dem anderen passiert dir all das genau so, wie es jedem anderen passiert“ schreibt Paul Auster. In seinem „Winterjournal“ (Rowohlt) erzählt er nicht bloß sein Leben, sondern überrascht und berührt. Von Anfang an präsentiert sich hier kein eitler Erfolgsmensch, vielmehr horcht ein bescheidener Mann in sich und blickt ironisch auf sein Tun. Als Rahmenhandlung dient der Winter des Jahres 2011, in dem Auster in seinem Haus in New York über die 64 Jahre seines bisherigen Lebens nachdenkt. Er erinnert sich, ohne diese Gedanken zu ordnen – „Winterjournal“ ist eine der unchronologischsten Autobiografien, die je geschrieben wurden. Und eine der besten. Egal, ob Auster über Partys auf der Junior Highschool 1959 schreibt, seine Liebe zu Siri Hustvedt, über Tripper und Filzläuse, die ersten Worte seiner Tochter oder die Sonnenblume, die so schnell wächst wie er selbst als Kind: er tut dies staunend, liebevoll und fragend. Seine Offenheit und Ehrlichkeit machen ihn als Mensch erlebbar – ein literarischer Hochgenuss.