Im Interview: Erik Axl Sund über Selbstmord-Serien

easAus zwei schwedischen Punkmusikern wurden Bestsellerautoren: Unter dem Pseudonym Erik Axl Sund haben Håkan Axlander Sundquist und Jerker Eriksson allein in Deutschland mehr als eine Million Bücher verkauft – innerhalb eines Jahres. Ihre Victoria-Bergmann-Trilogie wird in 30 Ländern gelesen. Soeben ist „Scherben-seele“ (Goldmann) erschienen.

In Eurem neuen Roman begehen zahlreiche Jugendliche Selbstmord zu den düsteren Songs eines Musikers namens „Hunger“. Bezieht Ihr Euch auf einen realen Fall? Nicht konkret, aber es gibt immer wieder Selbstmordwellen unter Jugendlichen. Oft wird Musik dafür verantwortlich gemacht. Einer der bekanntesten Fälle: 1984 erschoss sich ein 19-jähriger zum Song ‘Suicide Solution‘ von Ozzy Osbourne. Seine Eltern verklagten den Musiker, dass er schuld daran gewesen sei. Doch die Klage wurde abgewiesen.

Sollten Künstler die Verantwortung für die Auswirkungen Ihrer Arbeit übernehmen? Sie sollten sich zumindest bewusst sein, was sie anrichten können. Aber sollten sich Künstler wirklich wegen möglicher Folgen einschränken? Kann man Autoren verantwortlich machen für das, was ihre Figuren tun? Ist Karl Ove Knausgård ein Pädophiler, weil sein Protagonist diese Neigung hat? Eine schwedische Feministin hat ihm dies vor kurzem vergeworfen. Aber jede Form von kreativer Arbeit, die für die Öffentlichkeit bestimmt ist, beeinflusst und berührt nun einmal. Das liegt im Wesen der Kunst.

Was hat Euch am Thema Selbstmord-Serien gereizt? In Schweden steigt die Zahl der Selbstmorde unter Jugendlichen an. Der häufigste Todesursache unter Männern zwischen 17 und 25 ist Selbstmord. Bei unserer Recherche stießen wir auch auf die Fakten zur Bridgend-Selbstmordwelle in Wales. Zwischen 2007 und 2009 brachten sich dort 25 Jugendliche um. 2010 bat die Polizei die Medien, nicht mehr darüber zu berichten, um keine weiteren Nachahmer anzuregen.

Euer Buch könnte ebenfalls eine fatale Wirkung haben. Wir haben tatsächlich sehr lange darüber nachgedacht, ob wir über Selbstmorde schreiben sollen, und wir kennen natürlich auch den Werther-Effekt. Aber wir glauben nicht, dass die Lektüre von „Scherbenseele“ jemanden in den Selbstmord treiben wird. Uns brennt das Thema allerdings auf den Nägeln – wir hatten Selbstmorde in unserem direkten Umfeld. Das ist sehr persönlich und nichts, worüber wir gerne sprechen. Aber darüber zu schreiben, war wie eine Therapie.

Habt Ihr als Musiker dunkle Gestalten wie „Hunger“ getroffen? Ja. Da gab es einige Leute, die fast so fanatisch waren wie er. Vor allem in der Black-Metal-Szene.

Ihr selbst habt Punk gespielt. Ist das nicht auch ziemlich destruktiv? Oft schon. Punk hat viel mit Ärger und Frust zu tun oder mit dessen Verarbeitung, aber wir waren anders. Wir wollten einfach nur positive Energie verbreiten.

Worin liegen die größten Unterschiede zwischen dem Schreiben von Songs und Romanen? Musik zu machen ist etwas gefühlsbetonter. Ein Ton oder eine Klangfolge kann ein unbeschreibliches Gefühl erzeugen, ohne dass man genau weiß, woher es kommt. Das passiert zwar auch beim Schreiben, aber dazwischen gibt es viel mehr „tote“ Passagen, in denen die Figuren ganz banale Dinge tun müssen. Sonst wäre ein Roman nicht lesbar. Einer der wichtigsten Unterschiede ist auch, dass man als Autor eines Songs eine Geschichte total komprimiert und effektiv erzählen muss.

Erik Axl Sund live: 17.9. in Hamburg, 18.9. Köln – ich freue mich auf die Moderation der Lesungen!

Narbenkind – Nebelkind – Rosenkind

narbenkind nebelkind rosenkindKinder, Kinder, das darf doch nicht wahr sein:

Nachdem im vergangenen Jahr das schwedische Autorenduo Erik Axl Sund einen Riesenerfolg mit seiner Victoria-Bergmann-Trilogie hatte (erster Titel: „Narbenkind“ bei Goldmann), springen jetzt andere Verlage aufs Trittbrett. Bei Blanvalet erscheint „Nebelkind“ von Emelie Schepp, bei Bloomsbury Berlin „Rosenkind“ von Ingrid Hedström. Beides Schwedenkrimis, welche Überraschung. Auch die düster-kritzelige Cover-Typografie von Erik Axl Sund wird inzwischen häufig nachgemacht: „Herzsammler“ von Stefan Ahnhem (List), „Engelskalt“ von Samuel Bjork (Goldmann) oder „Kaninchenherz“ von Annette Wieners (Amazon). Nichts gegen Ähnlichkeiten – aber in diesen Fällen ist das Kopie-Kalkül allzu dreist.

Vom Original gibt´s übrigens bald Nachschub: Erik Axl Sund veröffentlichen Anfang September „Scherbenseele“ – mehr dazu bald.

„Was Stieg Larsson kann, können wir auch!“

erikaxlPunkmusiker, Gefängnis-Bibliothekar, Fotograf, Videokünstler: Die schwedischen Autoren Jerker Eriksson und Håkan Axlander Sundquist hatten schon viele verschiedene Jobs. Nun sind sie unter dem Pseudonym Erik Axl Sund die Stars der europäischen Thriller-Szene. Der erste Teil ihrer Trilogie, „Krähenmädchen“ (Goldmann), steht seit Wochen in den TOP 10. Ich habe Jerker und Håkan in Stockholm interviewt – gemeinsam mit der Journalistin Andrea Tholl (www.andrea-tholl.de).

Wie wurdet Ihr von Punkmusikern zu Autoren? Jerker: Mit unserer Band tourten wir in Polen, Weißrussland und der Ukraine. Oft saßen wir lange Zeit im Zug und machten kreatives Brainstorming. Dabei haben wir eine Homepage um eine fiktive Musikszene in den USA konzipiert, in der sich die Musiker umbringen, jeder auf eine andere Art. Für all diese Figuren erfanden wir Geschichten – das hat so viel Spaß gemacht, dass wir uns vornahmen, irgendwann zusammen einen Roman zu schreiben.

Warum habt Ihr damit erst 2008 begonnen? Håkan: Wir brauchten wohl einen Anlass. Damals wurden wir beide innerhalb weniger Wochen von unseren Partnerinnen verlassen. Da meine Exfrau die Sängerin unserer Band war, war Musik für mich erstmal gestorben. Wir waren beide total gefrustet. Das war aber genau die richtige Stimmung, um sie in einem Roman zu verarbeiten.

Mit Hilfe von professionellen Autoren? Håkan: Nein. Wir lieben es, auf unsere ganz eigene Art kreativ zu sein. Wir sind Autodidakten, und „Do it yourself“ ist unser Motto. Zuerst haben wir zusammen Musik gemacht, dann Kunstwerke und Videos. Ein Buch zu schreiben war ein neuer Weg, uns künstlerisch auszudrücken. Anfangs dachten wir sogar: Was Stieg Larsson kann, können wir auch. – Jerker: Dabei ist es harte Arbeit, ein Buch zu schreiben. Mit Anfang 20 fiel mir das leichter. Damals habe ich nur für mich einen surrealen Roman verfasst, in dem der längste Satz der Welt steckt. Er ist elf Seiten lang, aber grammatikalisch korrekt.

In „Krähenmädchen“ tauchen schwer misshandelte Jungenleichen in Stockholm auf. Basiert das auf einem wahren Fall? Håkan: Ja. Als wir die Handlung konstruierten, verschwanden in Schweden jedes Jahr etwa 1.500 Kinder aus Flüchtlingslagern. Sie waren mit 15 Dollar und einem gefälschten Pass eingereist und 24 Stunden später spurlos verschwunden. In unserem Buch schnappt sich jemand, der gerne Kinder quält, diese Flüchtlinge. Eine Polizistin und eine Psychologin versuchen, den Fall zu lösen.

Eure beiden Hauptfiguren sind Frauen. Könnt Ihr überhaupt realistisch aus deren Perspektive schreiben? Håkan: Ich glaube schon. Unser Freundeskreis besteht überwiegend aus Frauen, wir kennen deren Probleme also sehr gut. Und ich habe ein sehr inniges Verhältnis zu meiner Schwester. Insofern mussten wir uns nicht in eine völlig fremde Welt hineinversetzen. Übrigens: Wären wir Frauen, würde uns niemand die Frage stellen, ob wir aus Männersicht schreiben können.

Was haltet Ihr von der schwedischen Monarchie? Håkan: Ich hasse das monarchistische System. Es ist nicht zeitgemäß. König Carl Gustav ist nicht besonders intelligent. Außerdem bevorzugt er es, Elche zu schießen, statt seinen königlichen Pflichten nachzugehen. Königin Silvia lebt schon Jahrzehnte in Schweden, beherrscht aber die Sprache immer noch nicht. Sie gibt nur Phrasen wieder. Das ist peinlich. – Jerker: Und Silvia lächelt immer. Selbst wenn sie traurig ist, sieht sie aus wie der Joker aus Batman.

Das Schweden-Phänomen

erikaxl„Der Schweden-Hype ist vorbei!“, hieß es 2003 nach dem (vorerst) letzten Band der Wallander-Serie von Henning Mankell. 2007, nach dem letzten Teil der Stieg-Larsson-Trilogie, hieß es: „Nun ist der Schweden-Hype endgültig vorbei!“. Und jetzt, sieben (!) Jahre danach? Boomen schwedische Krimis und Thriller wie nie zuvor. Im Herbst erscheinen die neuen Romane von Hakan Nesser (btb), Hjorth & Rosenfeldt (Wunderlich), Kristina Ohlsson (Limes), Lars Kepler (Lübbe), Carl-Johan Vallgren (Heyne) und Fredrik T. Olsson (Piper).

Mehr denn je setzt auch der Goldmann-Verlag auf harte Schwedenkost. Im Juli, September und November erscheint die Psychothriller-Trilogie des Stockhol- mer Autorenduos Erik Axl Sund: „Krähenmädchen“, „Narbenkind“, „Schattenschrei“. Ihre Haupt- figuren leben nur wenige hundert Meter entfernt von Stieg Larssons Protagonisten Lisbeth Salander und Mikael Bomkvist – auf Södermalm. Kalkül? Zufall? Trittbrettfahrt? Nichts davon, wie ich bei einem Besuch in Stockholm festgestellt habe. Mein Interview mit Erik Axl Sund gibt´s bald hier im Blog.