30 Tage Untertauchen

Ist es möglich, sich einen Monat lang zu verstecken? Völlig vom Radar zu verschwinden und nicht aufspürbar zu sein? Die amerikanischen Geheimdienste und ein Social-Media-Mogul starten in Anthony McCartens Roman „Going Zero“ (Diogenes) das ultimatives Überwachungsprojekt, einen sogenannten Betatest: Sie wählen zehn Bürger*innen aus, die 30 Tage untertauchen sollen. Wer es schafft, bekommt drei Millionen US Dollar. Steuerfrei. Das Ziel: Maximale Kontrolle und Sicherheit.

Und schon läuft der Countdown. In ihrer Kommandozentrale machen die cleversten Datenanalysten und Cyberdetektive Jagd auf die Teilnehmer. Dazu kommen Hacker, Geheimdienstler und Programmierer – sie werten alle Daten, Bilder und Spuren aus, und schnappen tatsächlich schon bald fast alle der „Going Zero“ Teilnehmer. Nur eine Frau bleibt wochenlang unauffindbar: Kaitlyn Day, eine Bibliothekarin aus Boston. Obwohl sie eher old-fashioned und analog lebt, entzieht sie sich immer wieder den Zugriff-Teams. Und der Countdown läuft unerbittlich weiter.

Anthony McCarten hat einen brillanten Roman über das Abwägen zwischen Privatsphäre und Sicherheit geschrieben. Sein rasanter, smarter Plot und seine scharfsinnige Sprache fangen viele brisante Themen ein: Den Größenwahn von Silicon Valley Milliardären, das unkontrollierbare Maß an Überwachung und die Kontrollvisionen von Geheimdiensten und Regierungen. Eine sensationelle Geschichte, thrillerartig umgesetzt, übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf.

Ich stelle den Roman am 13. Mai in meiner Literatursendung bei egoFM vor – ihr hört alle Folgen der Show hier im Stream (ohne Musik).

Von Schafen, Wölfen und Betrügern

„Du kannst es schaffen, reich zu werden. Erfolgreich. Ein starker Typ, ein echter Mann. Du musst nur das richtige Mindset haben, kämpfen, hart sein, kein Schaf sein, sondern ein Wolf.“ Mit diesen abgedroschenen Sprüchen ködert Maximilian Krach junge Männer. Als Selbsthilfe-Coach gibt er Seminare und präsentiert sich auf Social Media mit Privatjet, Bentley, Rolex und Luxusurlaub.

Alles nur Show und Lüge, zeigt Sebastian Hotz (alias Social Media Satiriker El Hotzo) in seinem bitterbösen Roman „Mindset“ (Kiepenheuer & Witsch). Denn hinter der Maske des Erfolgstypen und Millionärs Krach steckt ein durchschnittlicher, unsicherer Loser – ein erbärmlicher Mann. Und dennoch, oder gerade deswegen, predigt er seinen Followern pausenlos wie man etwas Besseres wird, wie man sich durchsetzt und Karriere macht. Denn das sei wahre, erstrebenswerte Männlichkeit. Immerhin durchschaut Yasmin, eine junge Rezeptionistin eines Businesshotels, sogleich die Methoden von Maximilian Krach.

„Besonders einfach zu betrügen sind die Verzweifelten“, schreibt Sebastian Hotz in seiner schonungslosen, unterhaltsamen Satire. Prompt fällt Mirko, ein junger frustrierter ITler, auf die Masche des Coaches herein und merkt erst zum Schluss des Romans, dass er aus Verzweiflung an das Märchen vom schnellen Reichtum geglaubt hat. Sebastian Hotz zeigt, was passiert, wenn Menschen den Spielregeln des Kapitalismus ausgeliefert sind und andere versuchen aus deren kaputt konsumierten Gehirnwindungen Profit zu schlagen. Eine messerscharfe Milieustudie, die in Gütersloh und Mülheim an der Ruhr spielt.

Ich habe den Roman in meiner Literatursendung bei egoFM vorgestellt – ihr hört die Show hier im Stream (ohne Musik).

Ich liebe dich. Ich verlasse dich.

Ich liebe dich. Ich verlasse dich. Erstaunt stellt die Erzählerin von Julia Schochs Roman „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ (dtv) fest, dass für den Anfang und das Ende ihrer Beziehung genauso kurze Sätze stehen. Also, noch einmal: Ich liebe dich. Ich verlasse dich. Das Besondere an dieser Geschichte ist, dass Julia Schoch untersucht, was zwischen diesen beiden Sätzen liegt.

Im Fall dieser Beziehung liegen 31 Jahre zwischen Lieben und Verlassen. 31 gemeinsame Sommer und insgesamt 42 Reisen, listet die Erzählerin auf. Dazu kommen zwei Kinder, sieben mal Notaufnahme, 76 Infektionen, sechs verschiedene Autos und 173.500 Fotos, die Frau und Mann von sich und ihrer Familie gemacht haben. Diese Liste ist allerdings nicht typisch für den Roman, denn meistens reflektiert und analysiert Julia Schoch, wie die Liebe entsteht, wie sie wächst und wie sie verblasst. Es sind also die Zwischentöne, die stillen Entwicklungen, für die sich Schoch interessiert.

Das Paar kommt aus Ostdeutschland, wollte nie spießig und kleinbürgerlich werden, blieb unverheiratet und rutschte doch in Erschöpfung, Langeweile und Misstrauen. Ein vielschichtiger, kluger, hinterfragender Roman. Unterhaltung auf höchstem Niveau – der zweite Teil von Julia Schochs Trilogie „Biografie einer Frau“.

Ich stelle den Roman am 22. April in meiner Literatursendung bei egoFM vor – ihr hört alle Folgen der Show hier im Stream (ohne Musik).

Kurze Geschichten, die lange anhalten

„Der Alltag war ein gefräßiges Tier. Er saugte uns den die Kraft und die Fröhlichkeit aus den Gliedern und wurde immer mächtiger.“

Sie sind kaputt, erschöpft, verzweifelt, doch sie können sich Verzweiflung nicht leisten, und auch sonst fast nichts. In „Aminas Lächeln“ (Kunstmann) rückt Björn Bicker Randfiguren in den Mittelpunkt, Menschen, die anders sind als die Mehrheit, zum Beispiel weil ihre Eltern oder Großeltern einst aus einem anderen Land gekommen sind. Oder wegen ihrer Religion, ihrem Hijab, ihrer sexuellen Orientierung.

In 10 Kurzgeschichten, die mitten ins Herz treffen, erzählt Björn Bicker von Frauen, Männern und Kindern, die im Münchner Bahnhofsviertel leben oder sich dort treffen. Momentaufnahmen aus der Unterschicht, aus Pflegefamilien, Kleiderkammern, Baklavaläden oder Beratungsstellen. Die Protagonist*innen erleben Gewalt, ringen um ihre Identität und kämpfen um Menschlichkeit. Und Amina, eine junge Muslima, schlägt in der U-Bahn einen Mann nieder, der ihr ins Gesicht gespuckt hat.

Mit seiner dynamischen, direkten Sprache beschönigt der Münchner Autor nichts. Im Gegenteil: Er folgt seinen Figuren dorthin, wo es weh tut, und so werden aus den short stories lang anhaltende, intensive, schmerzhaft realistische Einblicke. Genau das richtige Buch zum dritten Jahrestag der rassistischen Anschläge von Hanau.

Ich habe den Roman in meiner Literatursendung bei egoFM vorgestellt – ihr hört die Show hier im Stream (ohne Musik).

Wenn der Opa aus dem Gefängnis kommt

Michael Köhlmeiers „Frankie“ (Hanser) ist die ungewöhnlichste und schönste Opa-Enkel-Geschichte, die ich je gelesen habe. Zum Plot: Der 14 jährige Frank lebt mit seiner alleinerziehenden Mutter in Wien, er kocht gerne und liebt Tierfilme. Dann platzt plötzlich sein Opa in die Zweisamkeit – ein Schwerverbrecher, der 18 Jahre im Knast saß und nun frei ist. Frank mag ihn eigentlich nicht, und doch ist er fasziniert von ihm, von seiner bedrohlichen Art, von dem Bösen, das ihn umgibt, und er beobachtet seinen Opa genau: Was trinkt er, wie riecht er, was raucht er, wie ist seine Stimmungslage?

Michael Köhlmeier hat ein herausragendes Gespür für Nuancen, für feine Stimmungsveränderungen und verdeckte Machtspiele. Er notiert die pointierten Dialoge zwischen Enkel und Opa aus der Perspektive von Frank. „Frankie“ nennt ihn der Opa gegen seinen Willen, und zwischen den beiden entwickelt sich eine Art Duell. Sie umkreisen sich, verletzen sich, streifen schließlich nachts durch Wien, und dieses Schauspiel David gegen Goliath wird mit Spannung, Situationskomik und Herzenswärme aufgeführt.

Ein feinsinniges, vielschichtiges Sinnieren übers Böse, kombiniert mit einer Coming of Age Geschichte, einer Road Novel und Western-Elementen mit Showdown auf einer Autobahnraststätte. Als Hörbuch im Hörverlag großartig gelesen vom Autor selbst, mit sanfter Kratzbürstigkeit.

Ich habe den Roman in meiner Literatursendung bei egoFM vorgestellt – ihr hört die Show hier im Stream (ohne Musik).

Liebes Arschloch…

„In der überwiegenden Mehrheit sind die Menschen doch völlig kaputt. Alle.“

In Virgine Despentes´ neuem Roman „Liebes Arschloch“ geht’s zur Sache. Radikal, knallhart und provokativ schreiben sich eine berühmte Schauspielerin und ein erfolgreicher Schriftsteller Mails. Beide haben ihre besten Zeiten hinter sich und sind schon lange drogensüchtig. Heroin, Alkohol, Kokain, Crack – egal was der illegale Markt hergibt, sie ballern sich regelmäßig weg, wie sie es selbst nennen. „Mit Drogen fühle ich mich prächtig und bleibe wunderbar schlank“, schreibt Rebecca, der Filmstar. Oscar, der Autor, versucht dagegen neuerdings vom Stoff wegzukommen und besucht Selbsthilfemeetings.

Virgine Despentes zeigt Rebecca und Oscar als hasserfüllte Promis, die teils zynisch, teils selbstkritisch auf ihre Karriere und ihr Scheitern blicken. Ihre Mails lesen sich wie eine Abrechnung mit der Kulturbranche, mit Internetaktivismus, Radikalfeminismus und sozialen Medien. Die schonungslose Offenheit macht diesen Roman zur aufregenden Lektüre. Hinter der rauen Schale steckt allerdings der Versuch von Verständnis und Versöhnung – Rebecca und Oscar lernen sich zuzuhören. Zoe dagegen, eine Influencerin, die Oscar einen metoo Skandal angehängt hat, landet in der Psychiatrie. Ihre Posts unterbrechen den Schlagabtausch zwischen Rebecca und Oscar.

Es kracht und knallt also in diesem Buch, und Virgine Despentes wirft sich und ihre Figuren voller Lust in private und politische Schlachtfelder. Dennoch lautet die Botschaft zwischen den Zeilen: Habt euch doch endlich lieb, ihr Arschlöcher! (Kiepenheuer & Witsch,  übersetzt von Ina Kronenberger und Tatjana Michaelis)

Ich habe den Roman in meiner Literatursendung bei egoFM vorgestellt – ihr hört die Show hier im Stream (ohne Musik).

Wien, Juli 1914

Noch nie in seinem Leben hat Hans so viele Menschen gesehen, so viele Sprachen gehört. Hans, ein Pferdeknecht aus Tirol, kommt am 30. Juli 1914 mit dem Zug in Wien an. Er ist völlig überwältigt vom Treiben in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie.

Die Wiener Schriftstellerin Raphaela Edelbauer hat in „Die Inkommensurablen“ (Klett-Cotta) mit Hans eine überzeugende Perspektive gewählt, und sie gibt ihrer Hauptfigur einen unverstellten Blick auf die Ereignisse. Auf den Straßen fordern kriegsbegeisterte junge Männer die Generalmobilmachung – nach dem Attentat von Sarajewo zwei Tage zuvor, bei dem Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin ermordet wurden, steht Wien Kopf.

Hans will sich jedoch keineswegs freiwillig zum Kriegsdienst melden: Er sucht die Psychoanalytikerin Helene Cheresch auf, von der er erstaunliche Dinge gelesen hat. Offenbar ist sie Expertin für Parapsychologie. Da Hans glaubt, ins Denken anderer Menschen blicken zu können, scheint Cheresch die richtige für ihn zu sein. Es zeugt von großer Erzählkunst, wie Raphaela Edelbauer das Aufeinandertreffen von Hans und der Psychoanalytikerin beschreibt. Der Pferdeknecht hat noch nie eine so selbstbewusste, moderne Frau erblickt, die sich sogar tatsächlich für seine Fähigkeiten interessiert. Kurz darauf trifft Hans auf eine weitere faszinierende Person: Klara, eine junge Feministin, die als eine der ersten Frauen an der Universität Wien im Fach Mathematik promovieren wird und ebenfalls Klientin bei Cheresch ist. Klara stellt Hans schließlich einen blassen jungen Mann vor – Adam, einen musisch begabten Adeligen, der wegen seltsamer Träume zur Psychoanalyse geht.

Innerhalb weniger Stunden entsteht eine verwirrende Vertrautheit zwischen den drei Figuren. Hans, Klara und Adam wirbeln gemeinsam durch Wien und besuchen düstere Lokalitäten im Untergrund. Hans lernt Prostituierte und Adelige kennen, Offiziere und Homosexuelle, Lumpenproletarier und Kriegsbegeisterte. Der Erste Weltkrieg rückt mit jeder Stunde näher, während das ungewöhnliche Trio von einer Kneipe zur nächsten stolpert, über Philosophie und Metaphysik diskutiert und eine magische Zeit miteinander verbringt. Vor realem historischen Hintergrund entfaltet Raphaela Edelbauer virtuos ihre funkelnde Geschichte über drei junge Menschen, die sich der Kriegsbegeisterung entziehen und ihre Träume zu ergründen versuchen.

Raphaela Edelbauer ist am 10.2. zu Gast in meiner Literatursendung bei egoFM – ihr hört alle Folgen der Show hier im Stream (ohne Musik).

Wenn das Schicksal dem Dasein einen Stups gibt

Auf ein großes neues Literaturjahr! Als ersten Roman 2023 empfehle ich „Dein Fortsein ist Finsternis“ des isländischen Schriftstellers Jón Kalman Stefánsson. Ein wundersames Werk voller kunstvoll miteinander verwobenen Geschichten. Worum es grundsätzlich geht? Nun, eigentlich um alles. Denn Stefánsson erkundet Schicksal, Schönheit und Schmerz.

Zum Plot: Ein Mann erwacht in einer Kirche, irgendwo tief in den Westfjorden Islands, und erinnert sich an gar nichts. Doch auf dem Friedhof begegnet er einer Frau, die ihn wiedererkennt. Sie schickt ihn zu ihrer Schwester, mit der er offenbar einmal in einer Beziehung steckte. Also fährt der Mann los, mit seinem Bus und einem mysteriösen Begleiter, der neben ihm sitzt. Die Reise führt durch die atemberaubende Landschaft Islands, und parallel fängt der Roman auch die inneren Landschaften aller Figuren auf, denen der Reisende begegnet.

Da sind zum Beispiel Skuli, Kari, Halldor, Svana, Aldis, Haraldur, Einar, Loa und viele weitere Menschen. Bäuerinnen, Fischer, Pfarrer, Hausfrauen, Handwerker, Musiker und eine Frau mit einem Gewehr. Sie erzählen Geschichten von Trennungen, Unfällen, magischer Liebe und Sehnsucht, vom Überleben und immer wieder vom Tod, der zum Alltag auf dem Land gehört wie das Wetter. Die Hauptfigur, der Reisende ohne Gedächtnis, stellt sich auf seinen Wegen eine Playlist des Todes zusammen: Unter anderem mit Leonard Cohen, Nick Cave, Ella Fitzgerald, Tom Waits, Morrissey, David Bowie, The Cure und Nina Simone.

Jón Kalman Stefánsson lässt seine Geschichten ineinander fließen, lässt sie gleiten, lässt sie los, um in den Gedanken der Lesenden weitere Gefühle auszulösen. Er zeigt, wie das Schicksal dem Dasein immer wieder einen Stups gibt, und er fährt mit seiner Hauptfigur in den kleinen Fjord, wohin die Kompassnadel des Herzens zeigt. Eine Lektüre, die das Herz erwärmt und erweitert. Erschienen bei Piper, übersetzt von Karl-Ludwig Wetzig.

Ich stelle den Roman am 28.1. in meiner Literatursendung bei egoFM vor – ihr hört die Show hier im Stream (ohne Musik).

Da, wo die Rentiere leben

Frohe Weihnachten mit „Das Leuchten der Rentiere“! Das mag zunächst vielleicht nach Festtagsklischees oder einer romantischen Tiergeschichte klingen. Doch dieser Roman von Ann-Helén Laestadius (Hoffmann und Campe, übersetzt von Maike Barth und Dagmar Mißfeldt) wiederholt keine Stereotypen, sondern versucht vielmehr, ein realistisches Bild von traditionellen Rentierzüchter*innen unter der samischen Minderheit zu zeichnen.  

Zum Plot: Ganz oben im Norden Skandinaviens, wo es tagsüber minus 30 Grad hat und wo fast nie die Sonne scheint, lebt Elsa mit ihrer samischen Familie. Die Region, in der sie Rentiere halten, gehört zu Finnland und Schweden, und in beiden Ländern werden die Samen diskriminiert und gemobbt. Schon als Neunjährige muss Elsa mit ansehen, wie eines ihrer Rentiere ermordet wird, wie die Polizei die Ermittlungen verschleppt, wie der Täter, ein Schwede, ungestraft davonkommt.

Zehn Jahre später werden wieder Rentiere von samischen Gruppen getötet, doch diesmal weigert sich Elsa, sich mit der Provokation und dem Schicksal abzufinden. „Ich werde niemals aufgeben!“ schreit sie, geht an die Presse und fordert Aufklärung, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit. Damit zieht sie Hass und Unverständnis auf sich, auch bei den Traditionalisten in eigenen Reihen.

Ein intensiver, schneller Roman, der ganz nah an die samischen Rentierzüchter*innen heranzoomt, an ihre Sprache, Bräuche und Festlichkeiten. Mittendrin Elsa, die mutige junge Frau, die ihre lange unterdrückte Wut und Angst überwindet und sich endlich gegen Rassismus und Benachteiligung wehrt. Ein moderne Geschichte über die traditionelle Rentierzucht.

Ich habe den Roman in meiner Literatursendung bei egoFM vorgestellt – ihr hört die Show hier im Stream (ohne Musik).

Die Dolmetscherin

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag – ein Ort, an dem die schwersten Verbrechen der Welt verhandelt werden. Und nur selten ein Ort, an dem ein brillanter Roman spielt. Doch jetzt ist es soweit, in Katie Kitamuras „Intimitäten“ (Hanser, übersetzt von Kathrin Razum), wo eine Dolmetscherin ihre Heimat New York verlässt, um am Gerichtshof in Den Haag zu arbeiten. Sie mietet ein möbliertes Apartment, freundet sich mit Kolleg*innen an, lernt die für jede Sprache festgelegte Terminologie und dolmetscht die ersten Verhandlungen.

Sie lernt Adriaan kennen und verliebt sich in ihn, und Den Haag scheint zu ihrem neuen Zuhause zu werden. Doch mit jedem weiteren Monat am Gerichtshof spürt sie die physische und psychische Belastung des Dolmetschens. Von ihr wird erwartet, neutral zu sein trotz all der Grausamkeiten, die sie übersetzt. Trotz der Verbrecher, denen sie manchmal geradezu intim ins Ohr flüstern muss. Hinzu kommt, dass ihr Freund zu seiner Ex-Frau nach Lissabon fliegt, angeblich um die Scheidung vorzubereiten. Doch die Dolmetscherin zweifelt daran, zweifelt nun auch an Den Haag, an ihrem neuen Job.

Katie Kitamura fängt alle Schwingungen am Internationalen Gerichtshof ein, alle Nuancen. Sie greift große Fragen auf kleinstem Raum auf und schreibt in einer klaren, eleganten, vielschichtigen Prosa. Ein kleines Kunstwerk um die Frage, wie manipulativ Sprache sein kann und ob eine Dolmetscherin angesichts von Lügen und juristischen Tricks zur Gerechtigkeit beitragen kann. Wirklich brillant.  

Ich habe den Roman in meiner Literatursendung bei egoFM vorgestellt – ihr hört die Show hier im Stream (ohne Musik).