T.C. Boyle sieht das Licht

„Die Implikation war: Man brauchte keine langwierige Psychotherapie. Man brauchte keine Bücher, keine Studien, keine Laborratten – man brauchte nur diese kleine rosarote Tablette. Es war wie Zauberei.“

LSD. Der erste Selbstversuch von Albert Hofmann. Die ersten Harvard-Experimente, die legendären Sessions, die umstrittenen Partys. T.C. Boyle schreibt in „Das Licht“ (Hanser) mitreißend über ein Thema, das er gut aus eigener Erfahrung kennt. Boyle nahm als 20-jähriger alles: Marihuana, Heroin, LSD. Mit 25 war er clean und wusste: Ich werde Schriftsteller. Ohne Drogen.

Seitdem hat Boyle oft über Sucht geschrieben. Aber schon lange nicht mehr so souverän und unterhaltsam. Er erzählt seine wahre Geschichte aus der Perspektive von Fitz Loney, einem wissenschaftlichen Assistenten, der in den eingeschworenen Kreis um Timothy Leary aufgenommen wird. Fitz und seine Frau nehmen an den LSD-Sessions in Harvard teil. Sie staunen über ihre Wahrnehmungen nach der Einnahme von LSD: „Unvermittelt erwachten alle Objekte im Raum zum Leben, als hätten sie ein Herz und würden von Blut durchströmt: Kommode, Bücherregal, Orientteppich, Schaukelstuhl, Sessel, das Seestück über dem Kamin – alles bebte, bewegte sich, warf Licht durch den Raum.“

Trip folgt auf Trip, und der Gebrauch von LSD wird zur Gewohnheit für Fitz und die Leary-Jünger. Mit bildhaften, atmosphärischen Szenen zeigt T.C. Boyle, wie sich das Bewusstsein der Teilnehmer verändert, nicht nur während der Experimente. Denn die Wissenschaftler verlieren den Kontakt zur Realität, ihre LSD-Tabletten werden gereicht als handele es sich um ein Sakrament. Boyle gelingt das Kunststück, einerseits ganz nah bei seinen Figuren zu sein, und andererseits ihr Handeln aus der Distanz zu beobachten. Erleuchtung und Verblendung, eng miteinander verknüpft, grandios und authentisch beschrieben.

Im Februar kommt T.C. Boyle nach Deutschland – ich freue mich schon auf die Moderation seiner Lesung in München.

Im Interview: T.C. Boyle

Good Home“ (Hanser) heißt der neue Erzählband von T.C. Boyle. Darin beweist der Amerikaner mal wieder, dass er zu Recht als Meister der Kurzgeschichte gilt. Ich hatte die Ehre, im vergangenen November eine Lesung mit Boyle zu moderieren (Foto) und ihn zu interviewen. Das Besondere an einem Gespräch mit dem 68-jährigen: Er sprüht vor Witz, Charme und Intelligenz, dass man kaum hinterherkommt. Für SPIEGEL ONLINE habe ich ihn vor ein paar Tagen noch einmal interviewt – hier das komplette Gespräch. Und hier ein kleiner Auszug:

Schreiben Sie Kurzgeschichten, um zwischen Ihren großen Romanen in Übung zu bleiben? Das ist sehr viel mehr als ein Training. Short stories sind für mich eine völlig eigenständige Kunstform. Diese klare, im Umfang begrenzte Vorgabe fasziniert mich und ich stürze mich in jede Erzählung mit genauso viel Energie wie in meine Romane. Auf Kurzgeschichten habe ich schließlich auch meine Karriere aufgebaut: 1979 erschien mein erstes Buch „Tod durch Ertrinken“, das aus 17 short stories bestand.

Seitdem haben Sie 27 weitere Bücher veröffentlicht, sind mit Literaturpreisen überhäuft worden und begeistern weltweit Zuschauer bei Ihren Liveshows. Sie sind unglaublich produktiv. Das liegt vielleicht daran, dass ich irgendwann einmal erkannt habe, dass die meisten Künstler vor ihrem Tod produktiver sind als danach. Also gebe ich Gas, arbeite hart und schaue nach vorn. Es gibt immer etwas, worüber ich schreiben will. Mein nächster Roman dreht sich um den Schweizer Wissenschaftler Albert Hofmann, der 1943 die halluzinogene Wirkung von LSD entdeckt hat.

Ihre Kurzgeschichte „Good Home“ hat – wie viele Ihrer Erzählungen – einen Schluss, der alles offen lässt. Warum verwenden Sie diese Form so gerne? Anspruchsvolle Literatur behandelt ihre Leser als gleichwertige Partner. Ich will, dass meine Leser in die Geschichte gezogen werden und sie weiterdenken, auch nach dem Ende. Diesen Prozess würde ich mit einem klassischen Schluss zunichtemachen. In „Good Home“ kann es zu einer Katastrophe kommen. Oder eben auch nicht. Das überlasse ich der Fantasie meiner Leser. So wird das Lesen zu einem doppelten Abenteuer.

T.C. Boyles Terranauten

t.c. boyle, die terranauten, rezension, hanser, günter keil, literaturblogNanu? Wo ist nur T.C. Boyles geschliffene Ironie geblieben, sein gehobener Zynismus? In seinem neuen, heute veröffentlichten Werk „Die Terranauten“ (Hanser) sucht man seine bevorzugten sprachlichen Stilmittel nahezu vergeblich. Das hat natürlich einen Grund, nein, besser: drei Gründe: Boyle erzählt seine Geschichte aus den Perspektiven von drei Wissenschaftlern. Sie gehören zur Crew der „E2“, eines größenwahnsinnigen Experiments in der Wüste Arizonas. Zwei Jahre lang leben acht Experten in einem geschlossenen Ökosystem unter einer Glaskuppel. Freiwillig. Unter Beobachtung der Öffentlichkeit. Wie in der Realität – „Biosphäre“ hieß Anfang der 1990-er tatsächlich ein ähnliches Projekt, auf das sich Boyle bezieht. 

Das war wirklich eine neue Welt. Und jetzt war ich drinnen, und es gab keinen Weg zurück.“ schreibt die Nutztierwärterin Dawn Chapman, eine der Auserwählten. Sie hofft auf neuartige wissenschaftliche Erkenntnisse und eine spannende Zeit. Doch das ambitionierte Projekt mündet in Missgunst, Intrigen, Streit und Chaos. T.C. Boyle konzentriert sich allein auf seine drei Protagonisten, lässt sie selbst von ihrem Alltag in „E2“ erzählen. Das macht sein Drama zwar authentisch und eindringlich – die Ironie und den Zynismus des großen Meisters habe ich dennoch vermisst. Beim nächsten Mal bitte wieder mehr davon, Mr. Boyle!

T.C. Boyle im Interview

boyleRasant und radikal ist er, der neue Roman von T.C. Boyle. „Hart auf hart“ (Hanser) porträtiert wütende US-Amerikaner im Kampf gegen ihre Nachbarn und ihren Staat. Auch T.C. Boyle schont sich nicht: Sein Output ist enorm – 14 Romane und zahlreiche Erzählbände. Warum er immer weiter schreibt, hat er mir verraten:

Ihre Figuren haben es schwer: Sie gönnen Ihnen nur sehr kurze Phasen des Glücks und der Ruhe. Dann folgt die nächste Katastrophe, der nächste Abgrund. Warum tun Sie ihnen das an? Weil das die Realität ist, weil wir alle in einem ganz und gar willkürlichen Universum leben. Die Grausamkeit schlägt bei jedem von uns zu. Und wir sind dazu verurteilt, ein illusorisches und viel zu kurzes Leben zu leben.

Fällt es Ihnen mit jedem Buch leichter, ein neues Werk zu verfassen? Nein. Mehr als alles andere bin ich wirklich ein hart arbeitender Mann. Es wird nicht leichter und wird es auch in Zukunft nie sein. Trotzdem habe ich noch immer das große Verlangen, Geschichten zu schreiben und Kunst zu machen. Einfach, um zu sehen, was sich entwickelt, wie ich vorankomme, was aus den Ideen und Wörtern wird. Das ist ein sehr starker Antrieb.

Empfinden Sie das Schreiben als Sucht? Absolut! Das Schreiben versetzt mich in Trance und gibt mir einen Kick wie eine harte Droge. Das wunderbare an dieser Sucht ist: Man darf sich keine Pause gönnen, es geht immer weiter, immer wieder nach vorn – und das, obwohl man nie weiß, wohin man sich bewegt. Zuerst hat man gar nichts, aber irgendwann, nachdem man sich sein Hirn und sein Herz herausgerissen hat, seine Freunde und Ex-Liebhaber verraten hat, und wie ein Zombie über den Seiten gegrübelt hat, sodass man nichts mehr sehen, hören, riechen oder ertasten kann, dann hat man etwas. Etwas Neues. Etwas von Wert. Etwas, das man hoch hält und bewundert.

Und dann? Tja, man ist ja gierig und süchtig, nicht wahr? Dann beginnt man das ganze wieder von vorne. Mit nichts. Ich will das immer wieder erleben.