Doris Dörrie war eine der ersten Prominenten, die öffentlich gegen den Ukraine-Krieg demonstriert hat, vor dem Russischen Generalkonsulat in München. In ihrem neuen Buch „Die Heldin reist“ (Diogenes) erzählt sie vom Unterwegssein, vom Mythos des Helden und der Heldin, der Dramaturgie der sogenannten »Heldenreise«, die mit der Realität kaum etwas zu tun hat, denn echte Held*innen sehen anders aus als in Blockbustern. Zudem reflektiert Dörrie übers Suchen und Finden von Glück. Sehr persönlich, sehr unterhaltsam und immer in einer hochwertigen, vielseitigen Sprache. Anekdoten, Tagebucheinträge, Erinnerungen und ein beständiges Hinterfragen bestimmen die literarischen Linien dieses Werkes, mal humorvoll, mal nachdenklich, und immer lebensklug.
„Dies ist keine runde Story“, schreibt Doris Dörrie an einer Stelle. Stimmt: die Filmemacherin hat keine geschönte oder verklärte Mini-Autobiografie abgeliefert, sondern ein inspirierendes, ehrliches und philosophisches Buch, das sich ganz wunderbar liest. Ich habe mich mit ihr zum Interview in München getroffen (siehe Foto) – hier ein Ausschnitt:
In welchen Momenten Ihres Lebens haben Sie sich als Heldin gefühlt? Nur ein einziges Mal, als ich mein Kind zur Welt gebracht habe. Da dachte ich mir: Wow, das hast du jetzt wirklich geschafft! Ich dachte, ich bin zu blöd dazu.
Was ist mit Ihren großen Erfolgen als Regisseurin und Autorin oder mit Ihrem Entschluss, als junge Frau allein in die USA zu gehen – das waren doch auch heldinnenhafte Taten? Nein. Das Denken in Heldinnen- oder Heldenmaßstäben liegt mir sehr fern. Erfolge sind ein kompliziertes Geflecht aus vielen Faktoren, das liegt nie nur an mir, an einer Person. Ein Held ist oft ein Einzelkämpfer oder tut zumindest so in seinem heldenhaften Gebaren, und so habe ich mich nie gefühlt. In meinem neuen Buch „Die Heldin reist“ versuche ich den Begriff genauer zu umkreisen und zu analysieren, dass der eine strahlende Held gegen den Rest der Welt als Modell überholt ist. Denn wenn einer es allein schafft, ist das das Gegenteil von Gemeinschaft. Wir brauchen aber doch die Gemeinschaft, das Team, die Nachbarn, den „Rest der Welt“ – sonst sind wir aufgeschmissen.
Das heißt, es gibt gar keine echten Helden? Doch, aber oft sind sie es unfreiwillig geworden oder es wird ihnen zugeschrieben, obwohl sie es von sich weisen. Edward Snowden ist ein Held für mich. Einer, der eine hohe Verantwortung auf sich genommen hat und ein enormes Risiko eingegangen ist. Echte Helden werden oft nicht belohnt. Die klassische Heldenreise im Kino hat dagegen oft mit Errettung und Belohnung zu tun. Oder nehmen Sie Schriftsteller*innen und Reporter*innen in Diktaturen – diese Menschen bewundere ich. Oder die, die in Corona Zeiten in Krankenhäusern arbeiten. Ich habe mich oft gefragt, wann ich an ihrer Stelle davon laufen würde.
Das komplette Interview hört ihr hier im Stream meiner Literatursendung bei egoFM und lest ihr in der April-Ausgabe des Playboy.