Sie fühlt sich so einsam, dass sie schreien könnte. Und sie vermutet, dass sie unter den Toten besser klarkäme als unter den Lebenden. Die Hamburger Staatsanwältin Chastity Riley, die umwerfende Antiheldin aus Simone Buchholz Krimireihe, ist wieder zurück. Endlich.
In „River Clyde“ (Suhrkamp) wirkt Riley kaputter und trauriger als je zuvor. Sie bezeichnet sich als „zerschossene Existenz“, und sie trinkt nach sechsmonatiger Alkoholabstinenz mehr denn je. Vor allem Bier und Whisky. In Dubliner Pubs, denn Riley ist nach Schottland gereist, die Geburtsstadt ihres Ur-Urgroßvaters. Dort soll sie ein Haus erben, und dort stößt sie auf schmerzhafte Familiengeheimnisse.
Die von Simone Buchholz meisterhaft protokollierten Tresengespräche Rileys mit diversen trinkfesten Schotten sind ganz große Literatur. Philosophisch, pointiert, abgedreht, tieftraurig und urkomisch. Es sind Dialoge, die an Raymond Chandler oder James Ellroy erinnern – Buchholz´ Prosa steht jedoch für sich allein, und sie ist wie Chastity Riley selbst: Unverschämt frei von Konventionen, schlagfertig und impulsiv, unverstellt und offen. Hinter der trockenen, lässigen, komischen Oberfläche lauern Einsamkeit und Traurigkeit.
Während Riley Dublin erkundet und ertrinkt, beschattet Kommissar Stepanovic in Hamburg dubiose Immobilienmakler, die als Brandstifter für neuen Baugrund sorgen. Doch der zweite Erzählstrang ist nebensächlich. Entscheidend ist allein, was Riley im grauen Glasgow erlebt, wie sie mit den dunklen Wolken über und in ihr umgeht, wie Bier und Whisky die Kehlen hinunterrinnen, wie der Zigarettenrauch in den Nachthimmel steigt.
Simone Buchholz kratzt nicht an der Oberfläche wie die meisten Autor*innen. Mit ihrer Figur Chastity Riley bricht sie den Boden auf, geht tiefer, und schreibt darüber, wie es dort ist, wo es wehtut. Das geht ans Eingemachte, ans Herz. Es erweitert das Bewusstsein. Und es zeigt, was Kriminalliteratur kann, wenn sie über Grenzen geht.
Ich habe das Buch in meiner Literatursendung am 13. März auf egoFM vorgestellt und Simone Buchholz interviewt. Zur Show hier.