Der Gesang der Flusskrebse

Marschland ist ein Ort des Lichts, wo Gras ins Wasser wächst und Wasser in den Himmel fließt. Träge Bäche mäandern, tragen die Sonnenkugel mit sich zum Meer, und langbeinige Vögel erheben sich mit unerwarteter Anmut – als wären sie nicht fürs Fliegen geschaffen – vor dem Getöse tausender Schneegänse.“

Dies ist ein Roman über die Eleganz der Kanadareiher, die Schnelligkeit der Rotschwanzbussarde und die Geheimnisse der Krähen. Über die herrlichen Federn dieser Tiere und deren Heimat: Das Marschland an der Küste North Carolinas. „Der Gesang der Flusskrebse“ (Hanserblau) von Delia Owens ist jedoch vor allem ein Roman über eine junge Frau, die inmitten des sumpfigen Niemanslands lebt: Kya.

Der Plot beginnt im Jahr 1952. Kya, die jüngste von fünf Geschwistern, wird von ihrer Mutter und ihren Geschwistern verlassen. Etwas später bricht sie mit ihrem Vater und lebt allein in einer klapprigen Hütte in selbstgewählter Einsamkeit. Kya sammelt und katalogisiert Insekten, Muscheln, Blumen und Federn. Sie weiß mehr über die Gezeiten, Adler und Sterne als die meisten Menschen je wissen werden. Doch sie kann weder lesen noch schreiben – im nahegelegenen Dorf wird sie als „Sumpfgesindel“ oder „Marschmädchen“ verspottet. Zwei junge Männer interessieren sich dennoch für Kya – mit dramatischen Folgen: Einer stirbt auf mysteriöse Weise und der andere macht sich sein Leben lang Vorwürfe, Kya verlassen zu haben.

Der Zoologin Delia Owens ist mit ihrem Debütroman ein kleines Wunder geglückt. Wenn sie detailliert und poetisch von den Kanälen, Flussarmen und dem Flickenteppich aus Wasser und Land schreibt, durch den Kya mit ihrem Boot gleitet, verblasst die Welt außerhalb dieses Romans. Owens fängt meisterhaft Gerüche und Geräusche ein. Sie beschreibt bildhaft Lagunen und Grasinseln, beobachtet interessiert Truthühner, Hirschkühe und Silberreiher. Und, noch wichtiger: Von der ersten bis zur letzten Seite begleitet sie Kya, ist ganz nah bei ihr, beschützt sie.

Doch die 70-jährige Delia Owens kann (und will) nicht verhindern, dass ihre außergewöhnliche Heldin in einen Sumpf aus Vorurteilen gerät. Ein bewegendes Drama um das vielschichtige, geheimnisvolle Leben im Marschland sowie um die Abgründe menschlichen Lebens und Liebens. Naturkunde trifft auf Literatur – eine faszinierende Verbindung.

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