Der psychische Preis des Tötens

„Ich erforsche die Psyche von Kämpfern schon über 20 Jahre. Ich weiß, was zu tun ist, um Soldaten tödlicher, disziplinierter und auch resistenter gegen Traumata zu machen.“

Wie motiviert man Soldaten zu töten? Wie erreicht man, dass sie daran nicht zerbrechen? Die Psychologin Abigail kennt die Antworten. Seit vielen Jahren berät sie das israelische Militär – Abigail hält Vorträge vor Soldaten, gibt Generälen psychologische Tipps. Sie will das Siegen lehren, und die psychischen Folgen des Tötens möglichst gering halten. Gewissensbisse scheint sie bei dieser Arbeit nicht zu kennen.

In „Siegerin“ (Kein & Aber, übersetzt von Ruth Achlama) zeigt Yishai Sarid seine Hauptfigur als ehrgeizige Wissenschaftlerin. Kühl und kühn erfüllt Abigail ihre Aufträge, um ihr Land in kriegerischen Konflikten zu stärken. Ihr Vater, selbst ein Psychologe, hatte vergeblich versucht, sie davon abzubringen.

Als ihr Sohn Schauli jedoch zum Wehrdienst eingezogen wird, kommt Abigail ins Grübeln. Wird der empfindsame junge Mann die Kriegseinsätze verarbeiten können? Schließlich weiß die Expertin: Jeder Tötungsakt hat einen psychischen Preis. Ein guter Freund Abigails ist schwer traumatisiert, und ihre beste Freundin, eine Hubschrauberpilotin, erlitt bei einer Gefangenenübung einen schweren Knacks. Und so steckt Abigail plötzlich in einem Dilemma. Was wiegt schwerer, das Wohl ihres Landes oder das ihres Kindes?

Mit geradezu unheimlicher Ruhe schildert Yishai Sarid Abigails souveräne Siege und ihren Versuch, auch privat Niederlagen zu vermeiden. Über die Figur der Militärpsychologin widmet er sich brisanten Fragen: Darf man junge Menschen in den Krieg schicken? Kann man das gesellschaftlich akzeptierte Töten lernen? Sarids Leistung besteht unter anderem darin, nicht klar Stellung zu beziehen. Er führt seine Leser*innen in zwei gegensätzliche Welten, die zivile und die militärische, und in beiden gelten andere moralische Grundsätze, die nachvollziehbar sind. Was passiert, wenn sie kollidieren? Ein vielschichtiges, aufwühlendes Drama, gekleidet in kurze sanfte Sätze. Herausragend!

Mein Interview mit Yishai Sarid lief in meiner Literatursendung vom 27. Februar auf egoFM vor. Zur Show hier. 

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