Walisisches Inselleben

„Die Insel war fünf Kilometer lang und eineinhalb Kilometer breit, mit einem Leuchtturm an der östlichen Spitze und einer dunklen Höhle im Westen. Es gab zwölf Familien, den Pfarrer und den Polen Lukasz, der den Leuchtturm betrieb. Unser Haus, Rose Cottage, lag an einem Hang, wo der Wind eine Faust darum ballte.“ (Elizabeth O Connor / Die Tage des Wals /Blessing / übersetzt von Astrid Finke)

Das Meer kracht und zischt, der Wind heult und die Seehunde suchen Schutz vor dem Sturm. Es ist 1938 auf einer abgelegenen Insel vor der walisischen Küste, nur wenige Kilometer vom Festland entfernt, und doch so weit weg wie eine andere Welt. Das Leben der Bewohner*innen steht im Zeichen der Natur, der Gezeiten und vor allem im Zeichen des Fischfangs. Die Heringssaison und die Hummersaison bestimmen die Abläufe, und die Menschen halten sich an Traditionen. Als ein riesiger Wal strandet, gilt er als schlechtes Omen.

Doch die 18jährige Manod sieht in ihm ein Zeichen. Sie träumt schon lange von einer Zukunft auf dem Festland und würde für ihr Leben gern studieren. Als ein Forscherpaar aus Oxford auf die Insel kommt, sieht Manod ihre Chance. Joan und Edward engagieren sie als Übersetzerin und lassen sich von ihr die Inselwelt erklären. Erstmals bekommt sie so ihr Leben gespiegelt, sieht sich mit den Augen der modernen Ethnologen aus England und spürt, wie rückständig ihr Umfeld ist. Manod beginnt eine Affäre mit Edward und plant, mit ihm aufs Festland zu reisen. Doch kann sie ihre Schwester und ihren Vater wirklich zurücklassen? Manod bekommt Zweifel, und sie sieht Joan und Edward kritischer, denn die beiden beuten die Bewohner und ihre Geschichten für ihre Forschungspublikation aus.

Elizabeth O Connor schreibt über den Aufprall von Tradition und Moderne, über Träume und Verpflichtungen, und über weibliche Emanzipation. Sie hat eine schöne, zarte Sprache mit herrlichen Bildern, die nie ausufert oder schwärmerisch wird, sondern kurz, reduziert und bodenständig bleibt. Der Inselroman des Jahres? Könnte wirklich sein.

Ich habe den Roman im Podcast LONG STORY SHORT und in meiner Literatursendung bei egoFM vorgestellt – ihr hört die Show hier im Stream (ohne Musik).

2 Gedanken zu “Walisisches Inselleben

  1. Hallo Günter , danke für die schöne Rezension. Ich habe den Roman gerade beendet und bin auch begeistert von der athmosphärischen Botschaft der Autorin . Für mich ein Highlight!
    Herzlich Angela

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