„Eine wachsende Aufregung und Wildheit kroch durch mein Nervensystem, ein Kribbeln der Bewusstheit, die in den Knochen saß und nach außen strahlte.“
Alles was Frauen und Männer heute beschäftigt, taucht in diesem pulsierenden Roman auf: Liebe, Sex, Machtmissbrauch, Generationen- und Geschlechterkonflikte, das Älterwerden und die Fixierung aufs Äußerliche. Ja, Julia May Jonas ist mit „Vladimir“ (Blessing, übersetzt von Eva Bonné) ein großer Wurf gelungen.
Die Ich-Erzählerin, eine Literaturprofessorin an einem kleinen US-College, berichtet schonungslos, selbstironisch, und unverschämt offen von ihren Gefühlen. Sie ist Ende fünfzig, seit dreißig Jahren mit John verheiratet, der am selben College unterrichtet, und mit dem sie eine offene Beziehung führt – doch John übertreibt es, er vögelt herum und wird schließlich von einer Studentin wegen Machtmissbrauchs angezeigt. Muss seine Frau sich für ihren Mann rechtfertigen oder kann sie unabhängig bleiben, ihn mit seinem Problem allein lassen? Die Professorin ist hin- und hergerissen, mal zieht sich zurück, dann geht sie in die Offensive.
Besonders brisant wird die Situation, als die Professorin eine Obsession für Vladimir entwickelt, einen deutlich jüngeren Kollegen. Immer wenn Vladimir in ihrer Nähe ist, knistert und prickelt es, und sie malt sich aus wie es wäre ein paar Tage mit ihm allein zu sein – was tatsächlich passiert, und woraufhin alles eskaliert, aber ganz anders als erwartet.
Julia May Jonas hat mich mit ihrem klugen, witzigen Stil und ihrer packenden, dramaturgisch perfekt umgesetzten Geschichte begeistert. Sie behandelt elementare Fragen des Zusammenlebens und der Begierde mit starken Metaphern und einem differenzierten, überraschenden Blick. Das Hörbuch (Hörverlag) liest kongenial Schauspielerin Martina Gedeck.