Philipp Winkler ist wieder da. Der 34-jährige Autor, der vor vier Jahren mit seinem Debüt „Hool“ auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand und den ZDF aspekte-Literaturpreis bekam, hat einen neuen Roman veröffentlicht. Kurz und kurios ist dieser, mit faszinierenden Einblicken in die Welt der Schausteller.
„Dies ist ein letztes Hurra auf die Kirmes und die, die sie bevölkerten und lebendig machten. Auf dass ihr euch vielleicht an sie erinnern werdet. An jene, die den Spaß erfanden.“
In „Carnival“ (Aufbau) lässt Philipp Winkler einen ehemaligen Kirmesboss erzählen. Einen „Skipper“, „dem die Karawane aus Trucks, Fahrgeschäften und Buden unterstellt war.“ Einen Insider, der wortgewandt hinter die Kulissen der Schieß- und Fressbuden schaut. Dieser Typ richtet sich direkt an die Leser*innen, also die Volksfest- und Kirmesbesucher, er spricht von „ihr“ und „wir“ – zwei Welten und zwei Lebenseinstellungen, verbunden mit Vorurteilen auf beiden Seiten.
„Wir waren die, die ihr Streuner, Zigeuner, Rumtreiber, fahrendes Volk und Gauner nanntet. Damit hattet ihr manchmal gar nicht so unrecht. Doch was wir auch waren, was wir alle waren, das sind Kirmser.“
Dass das Leben der Kirmser herb und anders als die sogenannte normale Welt ist, daran lässt der Erzähler keinen Zweifel. Er beschönigt nichts. Tabak, Alkohol, Prügeleien, Hurerei, Glücksspiel und Drogen – nahezu jeder Kirmser hat oder hatte Erfahrung damit. Zur Familie gehören allerdings nicht nur Gestrandete und Fehlgeleitete, sondern jede Menge Artisten, Verkäufer, Schausteller und Helfer. Philipp Winkler erweckt sie alle literarisch zum Leben: Messerwerferin Cevenna, Boxer Bayou Bill, Erdbob vom Frittenstand, Clown Bully Steve, Tierpfleger Hembo sowie die Popkorn- und Zuckerwatteladies Ronda, Kendis, Laverne und Goldie.
Ganz bewusst schreibt Philipp Winkler im Präterium. Denn die großen Jahre der Kirmes sind vorbei. Wo früher die Zelte und Buden auf Brach- und Weideland aufgestellt werden konnten, wo auf Feldern und Äckern wie durch Zauberei Festplätze entstanden, sind heute betonierte Parkplätze oder Neubausiedlungen. „Carnival“ ist nicht nur eine bunte Sozialstudie, sondern auch eine tragische Chronik der Verdrängung. „Die Show ist vorbei“ sagt der Boss, Winklers Hauptfigur. Zum Glück blickt er ein letztes Mal zurück, und erzählt Anekdoten über Schwätzer und Showbetreiber, Malocher und Künstler. Eine herrliche Hommage ans fahrende Volk, so vielseitig und anregend wie ein paar Stunden auf einem Volksfest.
„Unser Verhältnis zueinander war kompliziert. Ihr brauchtet uns nicht, doch wolltet amüsiert werden. Wir gönnten euch euer Geld nicht, wollten lieber, dass es uns gehörte, und genau deshalb brauchten wir euch.“